„CO₂-Neutralität ist ein Marketingfaktor und sichert überdurchschnittliche Auslastung“

Visualisierung der neuen Jugendbildungsstätte: Bei der Fassadenverkleidung wird Holz dominieren. Foto: PDA-Planungsgruppe

Im Juni beginnen bei der Jugendbildungsstätte die Bauarbeiten. 6,7 Millionen Euro investiert das Bistum Münster in die Modernisierung des Gebäudes. Warum dabei Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt und ein Neubau weniger gut fürs Klima gewesen wäre, erklärt Geschäftsführer Johannes Dierker im Interview.

 

Nachhaltigkeit, verkündet die Jugendbildungsstätte, soll die Planungen für den Umbau und die Erweiterung des Gebäudes bestimmen.  Ist das heutzutage mit Blick auf Außenwirkung und Image nicht ohnehin ein Muss?
 

Dierker: Aus meiner Sicht ist ein anderer Ansatz nicht zukunftsfähig. Eine Jugendbildungsstätte muss die Zukunft kommender Generationen im Blick haben und auch baulich Verantwortung übernehmen. Die Konsequenz, in der wir Nachhaltigkeit planen, ist im Kontext der Bildungsstätten sicherlich schon etwas Besonderes und ein Alleinstellungsmerkmal. Hier werden klimafreundliches Bauen und Gestalten mit Bildung und Transfer verknüpft. Wir möchten nicht nur klimafreundlich bauen, sondern Menschen für die Idee der Energiewende und Nachhaltigkeit begeistern. Wir wollen zeigen, was möglich ist und damit auch Anregungen für andere Bauprojekte geben, etwa für Kirchengemeinden, Schulen oder auch private Projekte.

 

Nachhaltigkeit ist ein Baustein in der inhaltlichen Arbeit der Bildungsstätte. Wo konkret?
 

Dierker: Wir bieten Seminare zum Thema Energiewende und Klimagerechtigkeit an und begleiten Exkursionen in den Bioenergiepark Saerbeck. Wir arbeiten eng mit dem außerschulischen Lernstandort „Saerbecker Energiewelten“ zusammen und ermöglichen somit vielen Kindern und Jugendlichen authentische Lernerfahrungen. Darüber hinaus bin ich als Referent für die Klimakommune tätig — eine wunderbare Werbung auch für unsere Jugendbildungsstätte.
 

Ziel soll eine bilanzielle CO₂-Neutralität sein. Was ist mit bilanziell gemeint?
 

Dierker: Wir möchten auf dem Grundstück der Jugendbildungsstätte mehr erneuerbare Energie produzieren, als wir mit Heizung, Strom, Mobilität und Zubereitung der Verpflegung benötigen. Dies gelingt nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit, aber die Summe muss stimmen. Die Werte wurden im Vorfeld bereits im Rahmen einer Bachelorarbeit errechnet und werden nach Fertigstellung nochmal durch ein Fachingenieurbüro überprüft.

 

Was hat die Bildungsstätte bislang für den Klimaschutz getan?
 

Dierker: Bereits jetzt setzt sie auf Nachhaltigkeit. Zwei Fotovoltaikanlagen und eine thermische Solaranlage werden betrieben, eine Fahrradflotte ermöglicht klimafreundliche Mobilität, die Beleuchtung wurde in weiten Teilen auf LED-Technik umgestellt.
 

Warum haben Sie sich bei der Heizung für eine Kombination aus Wärmepumpe und Pellet-Heizung entschieden?
 

Dierker: Bisher haben wir mit Öl geheizt, ein absolutes No-Go für die Zukunft, gleiches gilt für Erdgas. Die Wärmepumpe soll die Grundversorgung des Gebäudes sichern. Die Pelletheizung fängt die Spitzenlast ab und unterstützt bei der Warmwasserbereitung. In Übernachtungsbetrieben wie unserem ist der Verbrauch an Warmwasser relativ hoch. Wir haben uns für eine hocheffiziente Wärmepumpe entschieden. Der erforderliche Strom wird durch eine Fotovoltaikanlage mit 82 Kilowatt Peak und einer Speichereinheit bereitgestellt. Dies klappt natürlich nicht an 365 Tagen im Jahr, muss aber in der Summe stimmen. Die Überproduktion der Fotovoltaikanlage wird an den entsprechenden Tagen  in das öffentliche Netz eingespeist.
 

Beim Umbau und bei den neuen Gebäudeteilen spielt Holz eine große Rolle. Warum ist der Baustoff  unter Klimaschutzaspekten zu empfehlen?
 

Dierker: Holz wird die Fassadenverkleidung dominieren. Das Obergeschoss des Bestandsgebäudes wird in Holzständerbauweise errichtet, Fußböden in den Zimmern und Seminarräumen sind aus Holz. Jeder Baum entnimmt im Zuge der Fotosynthese Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Auch nachdem Holz gefällt ist, bindet es das CO₂ über viele Jahrzehnte. Holz lässt sich am Ende der Lebensdauer des Gebäudes mit sehr geringem Energieeinsatz zurückbauen und recyceln. Holz ist ein Teil des natürlichen Kreislaufs und lässt sich somit umweltfreundlicher beseitigen als andere Baumaterialien wie Stahl oder Beton.
 

Warum ist es für das Klima grundsätzlich besser, ein bestehendes Gebäude zu sanieren als ein neues zu bauen?
 

Dierker: Bei der Umweltbilanz von Neubauten fällt ins Gewicht, dass schon bei der Herstellung und Errichtung des Gebäudes oft so viel CO₂ verursacht wird, wie in den gesamten Jahren der weiteren Nutzung. Auch bei Abriss und Entsorgung entstehen Emissionen. Zudem ist ein Umbau ressourcenschonender. Gerade die Einsparung von Beton und Zement verbessert die CO₂-Bilanz erheblich.
 

Ist nachhaltiges Bauen eigentlich teurer?
 

Dierker: Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Natürlich sind die Investitionskosten etwas höher. Da das Budget begrenzt ist, müssen wir Prioritäten setzen. Gerne hätten wir die Gebäudehülle noch effizienter gestaltet, aber das hätte das Budget gesprengt. Eine wichtige Rolle spielen aber auch die Betriebskosten, die wir durch nachhaltiges Bauen reduzieren. Hier sprechen wir nicht nur von niedrigen Energiekosten, sondern auch von langlebigen Möbeleinbauten und Materialien, die Reparaturen und Ersatzbeschaffungen deutlich reduzieren. Nicht zu vergessen: Unsere Gastgruppen honorieren und wünschen ein echtes Engagement für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Die CO₂-neutrale Bildungsstätte ist ein konstruktiver Marketingfaktor und sichert uns eine überdurchschnittliche Auslastung. Auch das ist in der Kostenbetrachtung zu berücksichtigen.

 

Erschienen am 20. April 2023 in den Westfälischen Nachrichten
Von Katja Niemeyer